05. Nov 2021
Homeoffice ist in der Corona-Krise für viele zur täglichen Realität geworden. Dadurch ist auch das orts- und zeitunabhängige Arbeiten in vielen Bereichen weit verbreitet. Einige Länder locken Ausländer mit einer niedrigen Steuerbelastung, doch welche steuerliche Folgen könnte ein Wegzug in Deutschland auslösen?
Der Wunsch nach einem “Tapetenwechsel” und unerfülltes Fernweh haben sich besonders in den vielen, von Beschränkungen durch die Corona-Krise geprägten, Monaten vergrößert. Gleichzeitig hat die Covid-Pandemie den Schritt in Richtung Digitalisierung in vielen Branchen und Betrieben beschleunigt.
Dank des technologischen Fortschritts und der flächendeckenden Homeoffice-Situation ist es für viele Arbeitnehmer:innen und Selbständige unterschiedlichster Branchen völlig irrelevant geworden, wo auf der Welt sie vor ihrem Computer sitzen. Einige Länder und Inselregionen locken daher mit Homeoffice in der Sonne. Sogar ein neues Kunstwort wurde eigens hierfür erfunden: “Workation”, eine Zusammensetzung aus den beiden englischen Begriffen Work (= Arbeit) und Vacation (= Urlaub). Einzelne Länder, wie beispielsweise Griechenland, locken ausländische Berufstätige, auch als “digitale Migranten” bezeichnet, ferner noch mit zusätzlichen Steuervorteilen.
Doch derartigen Verlockungen sollte nicht ohne Bedacht nachgegeben werden, denn nicht nur für die laufende Besteuerung der Einkünfte hat der Wohnsitz eine große Bedeutung. Allein der Umzug aus Deutschland ins Ausland kann ohne genaue Planungen und steuerliche Überlegungen immense steuerliche Nachteile auslösen und schnell zum Alptraum werden.
Betroffen von der sog. Wegzugsbesteuerung sind natürliche Personen, die während ihres Lebens zumindest zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren, ins Ausland umziehen und Anteile an Kapitalgesellschaften (GmbH, UG, AG) mit einer Beteiligung von mindestens 1% halten. Die Staatsangehörigkeit spielt hierbei keine Rolle, auch ist es nicht relevant, ob es sich um eine Beteiligung an einer inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaft handelt. Auch die unentgeltliche Übertragung einer solchen Beteiligung auf eine nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Person und andere Formen von Verlagerung des Besteuerungsrechtes in ein anderes Land sind von der
Vorschrift betroffen.
Mit dem Wegzug fingiert der Gesetzgeber die Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft, ganz ohne tatsächlichen Liquiditätszufluss. Durch den Wegzug wird Deutschland das Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen in den vorgenannten Anteilen entzogen und ins Ausland verlagert. An dieser Stelle greift das Außensteuergesetz ein: Der bis zum Wegzug im Inland erwirtschaftete Wertzuwachs der Anteile wird in Deutschland der Besteuerung unterworfen. Damit sollen missbräuchliche Umgehungen der Besteuerung in Deutschland durch Umzug in ein anderes Land verhindert werden.
Für EU/EWR-Staatsangehörige gilt bislang die Besonderheit, dass die aus dem Wegzug resultierende Steuer zinslos, dauerhaft und ohne Sicherheitsleistung gestundet wird, sofern es sich bei dem Zuzugsstaat ebenfalls um einen EU/EWR-Staat handelt. Dies bedeutet, dass die Steuer zunächst einmal berechnet, allerdings noch nicht zur Zahlung fällig wird, solange die Beteiligung nicht tatsächlich veräußert wurde. Eine zeitliche Begrenzung für diesen Zahlungsaufschub ist nicht vorgesehen.
In allen anderen Fällen kann die Steuer auf Antrag für einen Zeitraum von fünf Jahren in regelmäßigen Teilbeiträgen gegen Sicherheitsleistungen gestundet werden, sofern die sofortige Entrichtung dieser Steuer mit erheblichen Härten verbunden wäre.
Wird die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland aufgrund einer vorübergehenden Abwesenheit beispielsweise zu Ausbildungs- oder Studienzwecken beendet, so wird die Steuer nicht fällig, soweit die Absicht zur Rückkehr glaubhaft gemacht wird. Dies gilt nur solange die Anteile an der Kapitalgesellschaft während der Abwesenheit nicht veräußert werden und der ausländische Wohnsitz jährlich schriftlich der deutschen Finanzbehörde angezeigt wird.
Durch die Umsetzung der europäischen Antisteuervermeidungsrichtlinie (Anti-Tax-Avoidance-Directive, kurz ATAD) in nationales Recht, werden die derzeit geltenden Regelungen zur Wegzugsbesteuerung insbesondere bei Umzug in das EU-Ausland erheblich verschärft.
Nach der neuen Rechtslage tritt der Wegzugsfall ein, wenn eine natürliche Person, vor dem Wegzug innerhalb der letzten zwölf Jahre mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war.
Eine deutliche Verschärfung erfolgt jedoch für die bereits beschriebenen EU-Fälle, denn die Neuregelung sieht künftig keine zinslose Stundung für solche Fälle vor. Dadurch werden die Grundfreiheiten erheblich eingeschränkt. Inwieweit diese Neuregelung europarechtlich tatsächlich rechtmäßig ist, wird sich noch zeigen.
Die Wegzugsbesteuerung tritt nicht ein, wenn im Ausland zwar ein Zweitwohnsitz begründet, in Deutschland aber der Hauptwohnsitz beibehalten wird. Wichtig hierbei: Der Hauptwohnsitz in Deutschland muss gleichzeitig auch der abkommensrechtliche Ansässigkeitsort bleiben. Abkommensrechtlich ist eine Person grundsätzlich in dem Land ansässig, in welchem der Mittelpunkt der Lebensinteressen besteht, wobei es für dessen Bestimmung vordergründig auf die engeren wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen ankommt.
Daher löst allein die Begründung eines Zweitwohnsitzes im Ausland nicht direkt die deutsche Wegzugsbesteuerung aus. Dennoch sollte in derartigen Fällen besondere Vorsicht geboten sein, denn bei der Bestimmung des Ansässigkeitsortes einer Person sind viele Faktoren zu berücksichtigen, was zu unterschiedlichen Auslegungen in den einzelnen Ländern führen kann. Darüber hinaus ist auch eine schleichende Verlagerung des Lebensmittelpunktes im Laufe der Jahre nicht auszuschließen.
Auch im Falle einer nur vorübergehenden Abwesenheit, genauer bei geplanter Rückkehr ins Inland innerhalb eines Zeitraumes von fünf (ab 2022: sieben) Jahren, kann unter Einhaltung strenger gesetzlicher Voraussetzungen eine Fälligkeit der Steuer vermieden werden. Die Steuer wird zunächst zwar berechnet, kann jedoch auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gestundet werden. Wird der Steuerpflichtige innerhalb des oben genannten Zeitraumes wieder unbeschränkt steuerpflichtig und wurden die gehaltenen Anteile innerhalb des Abwesenheitszeitraumes weder veräußert, noch ein sonstiger Tatbestand, der einer Anteilsübertragung gleichzustellen ist, erfüllt, entfällt der durch Wegzug zunächst begründete Steueranspruch.
Praktisch schwierig zeigt sich jedoch vor allem der Beweis des Rückzugswillens. In Frage kommen daher lediglich objektive Tatsachen, wie etwa ein zeitlich befristeter Entsendungsvertrag oder ein Studienplatz.
Neben Möglichkeiten des Wohnsitzmanagements eignet sich vor allem auch die Einlage der Anteile an der Kapitalgesellschaft in das Betriebsvermögen einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung. Durch die Einbringung wären die Anteile an der Kapitalgesellschaft nicht weiter dem Privatvermögen des Betroffenen zuzuordnen und deren Besteuerung auch nicht länger an dessen Wohnsitz geknüpft. Maßgeblich für die Besteuerung wäre damit der (inländische) Sitz der GmbH & Co. KG. Doch auch diese Gestaltung ist nicht frei von Tücken und sollte nur in Zusammenarbeit mit erfahrenen Beratern vollzogen werden.
Auch ohne den Besitz von Gesellschaftsanteilen kann eine Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis mit einem inländischen Arbeitgeber unerwünschte Konsequenzen haben. Gerade die Verlagerung der Homeoffice-Tätigkeit in Niedrigsteuerländer könnte ein ganz anderes, als das gewünschte, steuersparende Ergebnis bringen. Denn liegen trotz Wegzug weiterhin wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland vor, so könnte eine erweiterte beschränkte Steuerpflicht und im Rahmen dessen wiederum die Besteuerung nach deutschem Recht die Folge sein. Der gewünschte „Steuerspareffekt“ würde damit gerade nicht greifen. Einzelfallprüfungen und vorausschauende Gestaltungen erscheinen daher unabdingbar.
Aber auch Inhaber von Einzelunternehmen müssen vor einem Wegzug steuerlich einiges beachten. Denn durch Wegzug kann auch in diesen Fällen eine sog. Entstrickung ausgelöst werden, die zur Auflösung von stillen Reserven und damit erheblichen Steuernachteilen führen kann.
Neben den Regelungen des Außensteuer- und ATAD-Umsetzungsgesetzes sind immer auch etwaige Doppelbesteuerungsabkommen zu beachten. Ob ein Wegzug, sei es nun zum Zwecke einer schöneren Aussicht während des Homeoffice oder zur Steuerreduzierung, tatsächlich einen realisierbaren Steuervorteil ermöglicht, ist daher im Einzelfall zu überprüfen.
Bachelor of Arts
Steuerberaterin
Fachberaterin für Internationales Steuerrecht